Rainer Schubert, Bermerkungen zur Übersetzung von Blagas „Spaţiul mioritic“ ins Deutsche

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Prof. Dr. Rainer Schubert

Der folgende Text versteht sich als ein kurzer Erfahrungsbericht von Rainer Schubert, dem ehemaligen Österreichischen Kulturattaché und Direktor des Österreichischen Kulturforums an der Botschaft Bukarest (1999 – 2007), der schon etliche Werke des philosophischen Gesamtwerks von Lucian Blaga ins Deutsche übersetzt hat.

Es geht diesmal um die Übersetzung des vermutlich populärsten Werks des bedeutenden rumänischen Philosophen, nämlich um das Werk Spaţiul mioritic. Zum Unterschied anderer Werke Blagas, die die Erkenntnistheorie und die Metaphysik betreffen, also sehr theoretisch sind, ist diesmal von einer kulturphilosophischen Schrift die Rede. Sie hat mehr poetischen Charakter und stellt eine Beschreibung des rumänischen Kulturspezifikums dar.

Wie allgemein bekannt, spielt die deutsche Sprache in Blagas Leben eine bedeutende Rolle. Er stammt aus Siebenbürgen, besuchte auch eine deutschsprachige Schule und schrieb seine Dissertation an der Universität Wien 1920 in deutscher Sprache: „Kultur und Erkenntnis. Beiträge zur Erkenntnislehre vom kulturhistorischen Standpunkte“. Die Doktorarbeit wurde erst später ins Rumänische übersetzt. In Wien war Blaga auch von 1932 – 1937 Presseattaché an der Rumänischen Botschaft. Er wohnte damals in einem schönen Außenbezirk Wiens, am sogenannten Schafberg in einer herrlichen Villa, wo auch seine ebenfalls perfekt deutschsprechende Tochter Dorli Blaga aufwuchs. Ebenso wichtig ist zu erwähnen, dass Blaga seine Frau, Cornelia Brediceanu, in Wien noch vor Abschluss seines Studiums kennenlernte. Dass die Philosophie des Unbewussten in Blagas Kulturphilosophie eine so bedeutende Rolle spielt, ist sicher auch dem Umstand zu verdanken, dass Wien die Stadt der „Psychoanalyse“ von Sigmund Freud war. Es ist aber immer zu betonen, dass Blaga den Bereich des Unbewussten („inconştient“) ganz anders verstand als Freud und sich auch scharf davon abgrenzte. Blaga war auch ein großer Kritiker des neopositivistischen „Wiener Kreises“ (Otto Neurath, Moritz Schlick etc.), der die Metaphysik kategorisch ablehnte. Gerade die Metaphysik war es aber, die Blaga als das Kerngebiet der Philosophie ansah. Aber auch als Diplomat und Berichterstatter an das rumänische Außenministerium erlebte Blaga eine der aufwühlendsten Zeiten der Geschichte Österreichs: 1934 wurde der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordet, es folgte der sognannte Ständestaat und schließlich 1938 der Einmarsch Adolf Hitlers und der Untergang Österreichs als eigenständiger Staat. In diesen gewittrigen 1930-er Jahren übte Blaga sein Amt als Presseattaché in Wien aus.

Obwohl schon einmal Spaţiul mioritic in deutscher Übersetzung unter dem Titel Zum Wesen der rumänischen Volksseele (Minerva Verlag, Bukarest, 1982) von Julius Draser übertragen wurde, stimmte das Rumänische Kulturinstitut in Bukarest (ICR) im Jahre 2022 einer Neuübersetzung zu und förderte diese finanziell. Die Übersetzung erschien schließlich im LIT Verlag Wien im Jahre 2023 unter dem Titel Die rumänische Seele. Diesen Ausdruck gebraucht Blaga selbst in seinem Buch (vgl. „sufletul românesc“). Für den deutschsprachigen Übersetzer von Interesse sind im Falle von Spaţiul mioritic vor allem gelegentlich auftretende Schwierigkeiten der Übersetzung aus dem rumänischen Original in die deutsche Sprache. Im Folgenden seien dafür ein paar Beispiele gegeben.

In erster Linie geht es um den Titel selbst. Der Übersetzer wirft gleich in seinem Vorwort das Problem auf, wie Spaţiul mioritic dem deutschsprachigen Leser am besten vermittelt werden könnte. Der Übersetzer sagt: „Wörtlich übersetzt hieße der Titel des Buches Der mioritische Raum. Aber der deutschsprachige Leser wird sich unter dem rumänischen Originaltitel Spaţiul mioritic nicht viel vorstellen können.“ Mit der Stellung dieses Problems „ist man unversehens im inhaltlichen Kernstück des Textes angelangt“. Inwiefern lässt sich die Seele räumlich vorstellen? „Nach Blaga hat die Seele zum Unterschied des abstrakten dreidimensionalen und unbegrenzten, anschaulichen Raums einen räumlichen Horizont, … während der seelische Raum unbewusst allem kulturellen Schaffen, ob in Kunst, Architektur, Religion

Lucian Blaga – Wikipedia Commons

und Metaphysik, vor allem aber der Volkskunst wie dem Lied, der Dichtung, dörflichen Häusern, Trachten und Ornamentik vorgelagert ist. Im radikalen Unterschied zur Psychoanalyse, mit der ja das Unbewusste als chaotisches Sammelbecken verdrängter sexueller Inhalte in

Erst die Seele gibt dem äußeren Raum sein spezifisches Aussehen

Manchmal steht der Übersetzer von Spaţiul mioritic auch vor der Schwierigkeit, dass gereimte Verse im Rumänischen sich im Deutschen nicht als Reim wiedergeben lassen.

Verbindung gebracht wird, hat es bei Blaga eine feste Struktur, die jedenfalls stabiler ist als der äußere Raum der Landschaft, der je nach Aufenthalt des Menschen variieren kann. Erst die Seele gibt dem äußeren Raum sein spezifisches Aussehen. Nicht die Landschaft formt die Seele, sondern die Seele die Landschaft. Die Struktur der rumänischen Seele, verstanden als Volksseele, wird bei Blaga also von einer unbewussten Räumlichkeit hergeleitet, die in erster Linie der Schäferhirte erlebt, der von der Hochgebirgsweide ins Tal und dann wieder zu einer nächsten Weide hinaufwandert. Dieses Auf- und Ab-Wandern wird von der rumänischen Seele so tief verinnerlicht, dass es zu einem wellenförmigen Archetypus des kulturellen Stils kommt. Der seelische Raum richtet sich nach dem seelischen Innenleben des Schäferhirten, der ein dazupassendes Lied vor sich her singt, die sogenannte Miorița, was auf Deutsch Lämmlein bedeutet. Dazu muss man unbedingt hinzufügen, dass Miorița exklusive in der rumänischen volkstümlichen Mythologie entweder als Ballade oder Weihnachtslied in nicht minder als 1.400 Varianten in allen Regionen Rumäniens seit Jahrhunderten vorerst mündlich überliefert wurde. Der seelische Raum ist nach Blaga daher unbewusst mioritisch, und so lässt sich der zunächst für eine Leserschaft außerhalb des Kollektivgeists der rumänischen Kultur unverständliche Titel Der mioritische Raum als Die rumänische Seele übersetzen. (siehe „Die rumänische Seele“, Vorbemerkungen des Übersetzers, LIT, Wien 2023, S. 7ff.)

In einer Dichtung aus der Maramuresch finden wir Christus als Schöpfer:

O fǎcut Domnul Christos

Pe Adam foarte frumos.

Der rumänische Reim „Christos-frumos“ [„frumos“ bedeutet im Deutschen „schön“] fällt in wörtlicher deutscher Übersetzung weg: „Es hat der Herr Christus den Adam sehr schön geschaffen.“

Ein weiteres Beispiel für eine übersetzerische Schwierigkeit: Das Schlusskapitel seines Buches betitelt Blaga Apriorism românesc. Wörtlich übersetzt hieße es (wie übrigens auch bei Julius Draser): Der rumänische Apriorismus. Obwohl Blaga im Verlauf des Kapitels den Begriff „Apriorismus“ verteidigt, warnt er den Leser davor, vor dem Ausdruck nicht zurückzuschrecken. Blaga selbst ist sich also der Problematik des Ausdrucks bewusst. Als Titel des Kapitels hört er sich aber auf keinen Fall gut an. So wurde vom Übersetzer der Titel gewählt: Vom typischen Rumänentum. Selbstverständlich sei Blaga aber das abschließende Wort gegeben:

„So könnte man allgemein über eine Art Apriorismus der menschlichen Spontaneität sprechen, zum Unterschied vor allem des einfachen Apriorismus der ‚Erkenntnis‘. Der stilistische Apriorismus wird vom Unbewussten beherbergt und befeuert. Wir stellen uns vor, dass er von einer Region zur anderen, von einem Volk zum anderen variiert. Die Ausführungen, die uns die ganze Untersuchung hindurch beschäftigen, berechtigen uns, von einem rumänischen Apriorismus zu sprechen. Man schrecke vor diesem Ausdruck nicht zurück. Er bedeutet im Grunde nur eine genauere philosophische Bestätigung, dass es aktive stilistische Faktoren gibt, die unserem ethnischen Volksgeist seinen unverwechselbaren Stempel aufprägen.“ (Vgl. Die rumänische Seele, LIT, Wien 2023, S. 180)

Abschließend möchte der Übersetzer noch ein paar persönliche Bemerkungen hinzufügen. Ich erinnere mich genau, wie sehr mich Blagas Satz aus seiner Lobrede auf das rumänische Dorf beeindruckte (wobei wir daran erinnern sollten, dass Blaga selbst im kleinen Dorf Lancrăm/Langendorf aus Siebenbürgen geboren wurde). Es heißt: „Die Ewigkeit wurde im Dorf geboren“ („Veșnicia s-a născut la sat.“). Ich bezog diesen Spruch auf meine eigene Kindheit im großen Park, der neben meiner Wohnung lag. Dann kaufte ich mir Cunoaşterea luciferică bei der Buchhandlung Humanitas in der Calea Victoriei und begann das Werk ins Deutsche zu übersetzen. Für die Übersetzung von Spaţiul mioritic wurde mir im Jahre 2023 von der Bukarester Abteilung-Literarische Übersetzungen des Rumänischen Schriftstellerverbandes (Fitralit) ein Übersetzerpreis zuerkannt. Ich habe dafür auch dem Präsidenten dieser Abteilung, Peter Sragher, zu danken. Mit ihm verbindet mich eine langjährige und tiefe Freundschaft. In meiner Zeit als Kulturattaché in Bukarest organisierten wir gemeinsam viele österreichische Kulturprojekte.

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